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Deutsche Weinstraße

Stellplätze direkt am Weingut machen sie zum Highlight

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Stellplätze an Weingütern bieten die idealen Ausgangspunkte für Aktivitäten in den Weinbergen. Ob Spaziergang oder Radtour durch die Reben – eine Verkostung im Anschluss sollte man nicht verpassen.

Bachus, Bike und Bundesrepublik

Die Aussicht ist königlich. Direkt vor uns breitet sich ein Lavendelfeld wie ein lilafarbener Teppich aus. Daran schließen sich Weinberge an, in der Ferne sind auch noch Obstgärten zu erahnen. Eingebettet ist das alles in eine sanfte Hügellandschaft, in der schlanke, hochgewachsene Zypressen ebenso zu Hause sind wie buschige Kastanienbäume. Wo sind wir hier? Provence? Toskana? Weit gefehlt. Dieser Blick eröffnet sich von einem Aussichtspunkt in Gimmeldingen bei Neustadt an der Weinstraße. Tatsächlich wollte hier einst König Ludwig I. von Bayern seinen Sommersitz bauen lassen, seine “Villa Ludwigshöhe” entstand aus historisch ungeklärten Gründen dann aber im nahen Edenkoben. Doch weil der König sich offensichtlich auch nicht sattsehen konnte an dieser mediterranen Landschaft, stattete er immer wieder dem kleinen Pavillon, den der Gimmeldinger Weingutsbesitzer Johann Wilhelm Lingenfelder errichten ließ, eine Stippvisite ab.
Wir sind nicht mit der Kutsche angereist, sondern mit dem Reisemobil, das wir im Neustadter Teilort Hambach abgestellt haben, wo das Weingut Müller-Kern einen kleinen, feinen – ja fast königlichen – Stellplatz angelegt hat. Schließlich ist man hier auch bei gekrönten Häuptern zu Gast: Maritta Müller-Kern wurde 1975 zur Pfälzischen Weinkönigin gekrönt, ihre Tochter Patricia 2005 zur Weinprinzessin. Hier holt uns Norbert Arend ab, seines Zeichens Fahrradguide und Inhaber von „Genussradeln Pfalz“. Weil er seine Firmierung sehr wörtlich nimmt, bringt er für uns Pedelecs mit, deren Elektrounterstützung der hügeligen Topografie jeglichen Schrecken nimmt. Dafür sind seine Satteltaschen prall gepackt, um später mitten in den Weinbergen bei der „Nackten Eva“ ein kleines Picknick zu veranstalten. Selbstverständlich mit einem Gläschen Riesling veredelt.

Ja, ja, der Wein

Der spielt hier eine wichtige Rolle, schließlich blicken die Pfälzer auf eine rund 2.000 Jahre alte Weingeschichte zurück. Dabei haben sie kaum einen Superlativ rund um das süffige Thema ausgelassen. Der Dürkheimer Winzer und Küfermeister Fritz Keller etwa begeistert mit seiner 1934 geborenen Idee, ein Fass von 1,7 Millionen Litern zu bauen, noch heute Millionen Touristen. Das größte Weinfass ist ein Restaurant, das einmal im Jahr zum Epizentrum des größten Weinfestes der Welt wird. Rund 250.000 Liter fließen alljährlich beim Dürkheimer Wurstmarkt durch durstige Kehlen. Bei solch einer rekordverdächtigen Menge wird gern vergessen, dass der Wurstmarkt auch eines der ältesten Pfälzer Weinfeste ist. Schon im 15. Jahrhundert versorgten die Dürkheimer Bürger die Pilger, die zur Michelskapelle kamen, mit Wein und Wurst.

Die Pfälzer Gastfreundschaft

Gastfreundlichkeit ist bis heute ein Markenzeichen der Pfälzer. Die begegnet uns überall bei unserer Kurzreise in Form von herzlichen Menschen, die offensichtlich auch immer gerne kommunizieren, so wie unser Radguide, der die Region wie seine Westentasche kennt und sich im Laufe seiner radelnden Tätigkeit ein umfassendes Wissen angeeignet hat. Die Pfälzer Gastfreundschaft lässt sich sogar quantifizieren – in der Spitzenzahl von jährlich fast 200 Weinfesten. Darunter sind rekordverdächtige wie der Erlebnistag Deutsche Weinstraße – mit 85 Kilometern sicher eines der längsten Weinfeste der Welt – und weinweltbewegende wie das Deutsche Weinlesefest. Dann schlängelt sich alljährlich im Oktober nicht nur der längste Winzerfestumzug durch die Straßen von Neustadt, es werden auch die Pfälzer und die Deutsche Weinkönigin gekürt. Denn auch hier waren die Pfälzer Vorreiter. 1931 wurde in Neustadt beim Weinlesefest die Idee geboren, eine Weinkönigin zu wählen – und weil es nirgendwo sonst eine Weinkönigin gab, waren die ersten Pfälzer Weinköniginnen gleichzeitig Deutsche Weinköniginnen und Neustadt wurde zum traditionellen Krönungsort.

So viele royale Anklänge können aber nicht die historische Bedeutung der Pfalz für die Bundesrepublik Deutschland überdecken. Beim Hambacher Fest im Jahr 1832 wehte erstmals die schwarz-rot-goldene Flagge, wurden Bürgerrechte, Meinungs- und Pressefreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau propagiert. Kernziel der Versammlung war aber die Abkehr von der deutschen Kleinstaaterei hin zu einer gemeinsamen Republik. Das alles berichtet uns die Historikerin Charlotte Dietz, die uns durchs Hambacher Schloss führt. Die Wiege der deutschen Demokratie thront hoch über Neustadt und ist von unserem Wohnmobilstellplatz in einer knappen halben Stunde zu Fuß zu erreichen. Man könnte natürlich auch mit dem Mobil hinfahren, doch haben die rund 25.000 freiheitsliebenden Festteilnehmer seinerzeit den Berg auch zu Fuß erklommen. Im Gegensatz zu Helmut Kohl übrigens, der als Bundeskanzler – und gebürtiger Pfälzer – immer wieder Staatsgäste in seine Heimatregion einlud. Der Staatsbesuch des einstigen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan ist noch immer in den Köpfen der Menschen, auch Norbert Arend erinnert sich: “Mit aufs Schloss durften aber nur ausgesuchte Gäste, weshalb wir hier unten einfach ein Alternativfest machten – und einen Schauspieler in einer schwarzen Limousine vorfahren ließen.”

Natürlich gab’s auch da Saumagen. Das pfälzische Nationalgericht war die Leibspeise des gewichtigen Ex-Kanzlers – und schmeckt ausgezeichnet, wie wir uns beim abendlichen Besuch in einer Weinstube überzeugen können. Die Pfälzer Küche auf das herzhafte Fleichgerichte zu reduzieren wäre aber genauso falsch wie die Meinung, hier würden nur Weine angebaut, die ausschließlich als Schorle im typischen Halbliter-Schoppenglas taugten. Tatsächlich kredenzen die Pfälzer Köche Genüsse, die mit „verfeinerter Regionalküche“ nur unzureichend beschrieben sind, die Weine erreichen regelmäßig Top-Plätze in allen möglichen vinologischen Hitlisten. Daran haben nicht nur große, renommierte Weingüter ihren Anteil, sondern auch zahlreiche Jungwinzer, die ihre modernen Ideen vom Weinan- und -ausbau mit den funktionierenden Strukturen der elterlichen Betriebe kreuzten. Andreas Grimm in Schweigen – dem Startort der Deutschen Weinstraße – ist so einer, der mit seinen schlanken Weinen den Winzer-Wettbewerb „Junge Pfalz“ gewann. Timo Erlenwein in Ilbesheim ist ein anderer. Seine Ideen gehen auch über die Weinproduktion hinaus, weshalb er neben dem Weingut auch noch einen kleinen Wohnmobilstellplatz installiert hat, der idyllischer kaum sein könnte. Abends, beim Verkosten seiner feinen Tropfen, sagt er mit einem Lächeln: „Es ist doch schön, hier arbeiten zu dürfen.“ Da hat er sicher recht, aber hier zu urlauben ist mindestens genauso schön.
Text und Bildmaterial: Martin Häussermann
Erschienen in CARAVANINGWELT 2014/2015

Weitere Informationen

Reisemobil-Stellplätze finden sich zahlreich entlang der Deutschen Weinstraße. Wegen der Lage und der Möglichkeit der abendlichen Weinverkostung sind Stellplätze auf Weingütern besonders attraktiv.

Wir haben zwei empfehlenswerte Plätze besucht:

Weingut Müller-Kern
Andergasse 38
67434 Neustadt-Hambach
Telefon 06321 80251

Weingut Erlenwein
Wacholderhof
76831 Ilbesheim
Telefon 06345 919370
www.weingut-erlenwein.de

Das Angebot ist so reichhaltig, dass wir nur die erwähnen, die wir auch besucht haben:

Weingut Grimm
Paulinerstraße 3
76889 Schweigen-Rechtenbach
www.weingutgrimm.de

Weinstube Mohre-Jule
Schlossstraße 58
67434 Neustadt-Hambach
Telefon 06321 84072

Restaurant Hubertushof
Arzheimer Straße 5
76831 Ilbesheim
Telefon 06341 930239

Hambacher Schloss
67434 Neustadt-Hambach
Telefon 06321 296290
www.hambacher-schloss.de

Genussradeln Pfalz
Norbert Arend
Telefon 06323 – 6209
www.genussradeln-pfalz.de

Pfalz-Touristik
Martin-Luther-Straße 69
67433 Neustadt an der Weinstraße

Telefon 06321 3916-0

www.pfalz-touristik.de

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